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MV Agusta-Gespann

MV Agusta-Gespann

 

Gespann-Eigenbau von Roland Herbig

wm@r-herbig.de

 

Ein Wille, ein Weg

 

DSCN1064

Angefangen hat alles 2007 bei einem eher zufälligem Gespräch mit einer jungen Frau die mir vom 2 Jahre zurückliegendem  tödlichem Motorradunfall Ihres Mannes erzählte.

Ich hatte eine Werkstatt für Motorradlackierungen und kannte Mike – Er war Kunde bei mir – und ich kannte auch Seine MV.

 

Bevor Sie ging sagte Sie noch: „Mike würde sich im Grab rumdrehen wenn er wüsste das die MV in der Schrottpresse landet“.

 

Jetzt hatte ich ein Problem:

> Ich hab ein klasse Gespann und bin mit der Fazer super zufrieden

> Ich hab kein Platz für 2 Gespanne (und wollte auch kein weiteres bauen)

> Und nun kommt eine Frau vorbei, drückt mir eine vollkommen platte MV-Agusta F4 750  (auf Palette) auf's Auge und sagt:  bau ein Gespann daraus – bitte !

 

Manche Namen haben offenbar etwas Magisches – denn nach einigen Tagen Überlegung sagte ich  entgegen aller Vernunft zu.

Die F4 hat mich schon immer fasziniert und als alter Agostini Fan …

 

Ich habe mich dann erstmal im

www.mvagusta-forum.de

 schlau gemacht. Hier nochmal ein Dank an die Beteiligten, denn ohne deren Hilfe wäre ich oft nicht weitergekommen.

 

Ziel: soweit möglich alles selber machen. Die nötige Werkstatteinrichtung ist ja vorhanden – Drehbank – Fräse – WIG – Rohrbiegegerät – Lackierkabine – Hebebühne.

Und zum Glück auch das nötige Grundwissen – Ausbildung zum Industrie-Mechaniker und Elektroniker. Und es sollte ja mein erster Eigenbau werden.

Nur die Sitzbezüge überließ ich dem Fachmann.

 

Da alles Plastik und die Kühler zerstört waren und der schöne Motor zu schade zum verstecken ist war die Endscheidung für einen Streefighter klar. Daher auch die Idee den Wasserkühler in das Bootsheck zu verlegen.

 

Die MV war ein totaler Schrotthaufen (Frontalaufprall + Hecklandung) und wurde erstmal bis zur letzten Schraube zerlegt. Der Rahmen wurde gerichtet, den Heckrahmen mußte ich komplett ersetzen.

Dann habe ich den Rahmen noch gestrahlt und im MV-rot lackiert.

Da der originale Steuerkopfeinsatz zerstört war (mit einstellbarem Winkel) fertige ich einen aus Alu gedrehten Lagerstock mit geschlossenen Rillenkugellagern.

Die zum Neuaufbau der Maschine nötigen Teile wurden im Laufe von Monaten im Forum und bei Ebay besorgt und dann begann das Puzzel.

Der Aufbau der Basismaschine erforderte viel Nerven – denn einen Schrotthaufen zerlegen und wieder aufbauen sind zwei Dinge.

Für den höher Lenker (ABM-Superbike) wurde die obere Gabelbrücke mit Raisern von ABM bestückt. Schalterkabel und die Gaszüge mussten verlängert werden.

Lampe und Verkleidung wurden 20mm aus Platzgründen (hoher Lenker) höher gesetzt.

 

 

Die einfachste Aufgabe war die Montage einer PKW-Alufelge (15 x 7j) an den Radträger der Einarmschwinge. Der hierzu aus Alu gedrehte Adapter hat für das Rad 5 Stahleinsätze mit Gewinde für die Radbolzen und eine Mittelbohrung (50mm). Er wird mittels Zentralmutter auf der Hinterradachse befestigt.

 

Federung und Dämpfung übernimmt ein einstellbares Gespann-Federbein von Wilbers.

 

Für die Vorderradführung konnte natürlich nur die aus dem Fazergespann bekannte und bewährte Achsschenkellenkung in Frage kommen.

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Sie hat sich gut 20.000Km bewährt, wurde trotzdem in fast allen Punkten verbessert:

Einteilige Achse, Radträger 2-teilig aus einen 30kg Alublock gefräst, größerer Raddurchmesser, größere Bremsscheibe (BMW M3 300mm x 28mm, Radlager BMW 320, 2 Bremszangen, größerer Einlenkwinkel, …

30mm Nachlauf garantieren geringe Lenkkräfte und Wendigkeit. 

Federung und Dämpfung übernimmt ein voll einstellbares Federbein von Öhlins das nahe der Schwingenachse liegend angelenkt ist.  Weitere Einstellmöglichkeit bringt das zwischen Federbein und Druckstange liegende Hebelsystem.

 

Erhebliches Kopfzerbrechen bereitete der unten offene Rahmen, denn wegen der Optik sollte es kein durchgehendes Komplettfahrwerk werden sondern das Motorrad eigenständig bleiben.

Ich habe Tagelang neben der Baustelle gesessen und überlegt wohin mit den Querkräften.

Erreicht wurde das durch den unauffälligen Hilfsrahmen der die Linien der Hauptrahmens fortsetzt und den zwischen Motor und Auspuffkrümmern montierten Querstreben.

https://www.youtube.com/watch?v=CVOQSzEVbuM

App

 

Da noch Platz bleiben musste für den neben dem Motor liegenden Vorderraddämpfer kam der

1. Entwurf mit U-förmigem Hilfsrahmen nicht zum Einsatz und ich setzte nochmal die Flex an.

Um Platz für die Querstreben vor dem Motor zu schaffen wurde der originale Öl-Wasser Wärmetauscher durch einen externen Ölkühler ersetzt der zwischen Maschine und Boot optimal im Fahrtwind steht.

Zur Anpassung des Öldrucks an den externen Kühler wurde im Motor ein Überdruckventiel montiert.

 

Das Bootsfahrgestell hab ich fast 1:1 vom Fazergestell übernommen und ist aus nahtlos gezogenem Rohr 35 x 5mm.

Lediglich die Lagerung der Schwinge wurde verbessert und ist nun in einen gefrästem, einteiligen Alublock untergebracht ( Kegelrollenlager, einstellbar ). 

Die Vorspur ist einstellbar durch drehen des Lagerblockes.

 

Die Radnarbe für's Boot ist ebenfalls aus hochfestem Alu gedreht und hat Stahleinsätzen mit den Gewinden für die Radbolzen. Sie ist mit einstellbaren Kegelrollenlagern und Simmerringen ausgestattet.

Die gezogene Schwinge stützt sich über ein einstellbares Federbein von Wilbers ab.

Die Fahrgestellhöhe ist mittels Gewindespindel einstellbar und es gibt 2 Aufnahmen für das Federbein zur Anpassung der Federkarakteristik.

 

Die Bremsanlage wir komplett am Lenker bedient.

Dazu sind 2 Spiegler Radialpumpen auf einer gemeinsamen Trägerplatte so versetzt montiert das sie zusammen oder auch einzeln bedient werden können.

Oberer Hebel:  6-Kolben Nissinzange Vorderrad, 2-Kolben Brembo Boot, 4-Kolben MV hinten

Unterer Hebel: 4-Kolben Porschezange Vorderrad, 2-Kolben Brembo Boot

Alle Leitungen gehen zu einem zentralen Verteilungsblock. So ist es einfach möglich die Verteilung der 5 Bremssättel auf die 2 Bremspumpen zu ändern.

https://www.youtube.com/watch?v=lcMPa4_yjCw

App

 

Geschaltet wird mittels 2 Drucktastern am Lenker.

Über zwischengeschaltete Lastrelais bekommt ein mit 2 Spulen bestückter Elektromagnet Strom für die gewählte Arbeitsrichtung. Rückstellung in Nulllage übernimmt das Getriebe / Schaltautomat.

 

Das Boot hatte ich schon länger fertig (war einen Sommer an der Fazer) und so mußte ich es nur noch anders lackieren. Die Grundform (vorne) stammt von Ruko (AR2Racher), das Heck hab ich selbst laminiert. Platz für Gepäck gibt es leider nicht.

Für die Scheibe verwendete ich 3m dickes und getöntes Plexiglass das sich mittels Heißluftföhn gut biegen lässt.

 

Der Kühler im Heck ist von VW-Polo und ist mit Stahlgewebe ummantelten Kühlerschläuchen mit dem Motor verbunden.  Der Lüfter stammt vom BMW 320D und wir über Lastrelais gesteuert.

 

Der größere Kühlkreislauf erforderte ein 2. Ausgleichsgefäß – die Batterie ist im Boot.

Der Sitz mit einer 25mm Gelmatte gepolstert – da freut sich der Popo.

Der Beifahrer sitzt auf rutschfestem  Alcantara.

Alle Gelenke, Befestigungsteile und Schrauben sind – soweit möglich – aus V2A und eine Nummer größer dimensioniert als an der Fazer.

 

Der spannenste Moment war als ich das Erste mal der Starterknopf gedrückt habe – denn bis dahin (2 Jahre nach Baubeginn) wusste ich nicht ob der Motor läuft.

Und er läuft – und was ein Sound !

 

Die ersten Probefahrten zeigten das die Federung fürs Boot zu weich ist und noch kleine Änderungen am Lenkgestänge nötig sind.

Nach den Änderungen liegt das Gespann wie ein Brett und es geht ab wie „Schmitz Katze“ .

Vorausgesetzt man hat keine Angst vor hohen Drehzahlen.  Richtig Leistung ist erst ab 7.000

Touren da – ab 8.000 wird’s dann lustig und geht locker bis 13.000 Umdrehungen.

Dazu passt die leicht nach vorne geneigte Sitzhaltung – in Angriffsstellung !

Die Kombination von Spiegler Radialpumpe mit der Tocico Zange ist 1. Sahne.

Die Porschezange werde ich wohl auch noch durch eine Tocico ersetzen.

 

Nach 3 Jahren Arbeit ist das Gespann fertig und jetzt hab ich ein neues Problem:

2 vollkommen unterschiedliche Gespanne, beide klasse und ich will keines wieder abgeben.

 

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MV-Agusta Gespann

Technisches und Optisches Update

 

Mit dem MV-Agusta Gespann hat sich für mich ein Jugendtraum verwirklicht und ich hatte  2 Sommer und 30.000Km viel Freude.

Das Gespann war mit dem 750er Motor und 130 PS nicht untermotorisiert - aber man musste schon gnadenlos am Gas drehen um Spaß zu haben - 12.500 Umdrehungen/min ist nicht jedermanns Sache.

Selbst meine Frau (Blümchenpflückerin während der Fahrt) meinte ich soll einen anderen Motor besorgen -  ja wenn man soooo dazu gedrängt wird ...

So schlug ich sofort zu als ein Freund mir letzten Winter den Motor der 1000R 312 anbot - mit 190 PS !

Das Ergebniss / Erlebniss war beeindruckend: Leistung ab 2000U/min - ab 5000 U/min geht die Post ab - und bis zum Limit hab ich mich erst nach Tagen getraut - BRUTAL !

Für normal / zügige Fahrweise reichen jetzt 5000 - 6000 U/min und zum überholen ist zurückschalten nicht nötig :-)

Das diese Leistung (und meine Fahrweise) Ihren Preis hat war zu erwarten.

So ist das original Hinterradlager völlig unterdimensioniert und kollabiert schon im Solobetrieb nach 25.000Km - ich hab auf den letzten 15.000Km 2 davon zerstört incl. Schaden an der Achse.

Da die Lager zum Kettenspannen in einem recht kleinem Exenter sitzen war kein Platz für größere - aussermittig eingebaute Lager.

https://www.youtube.com/watch?v=lcMPa4_yjCw

App

Um ausreichend dimensionierte Lager zu verwenden drehte ich einen neuen "Exenter" mit mittigen Lagersitzen.  Das neue Hautlager ist ein zweireihiges Schrägkugellager mit 90mm Durchmesser und 30mm Breite (original 63mm Durchmesser und 16mm Breite).  Das linke Nadellager wurde  durch ein nur unwesentlich größeres DIN Lager ersetzt - original sind teure Sonderlager verbaut.

Den nur 16 mm breiten Lagersitz des rechten Lagers auf der Achse ließ ich durch Hochgeschwindigkeits-Plasmaspritzen auf die benötigten 30mm verbreitern und auf Maß schleifen.

Bei diesem Verfahren gibt es kein Verzug oder Festigkeitsverlust da das Werkstück nur 50°c warm wird.

Den Kettendurchhang konnte ich durch Anpassung der Übersetzung auf 20mm einstellen - das ev. später nötige Spannen übernimmt ein Spanner in Form einer einstellbaren Schleifschiene aus POM unter der Schwinge.  Der Kettenöler ist in die Schleifschiene integriert.

Abgedeckt wird das Ganze mit einem aus Carbon laminiertem Ketten / Spritzschutz.

Der neue "Exenter" erforderte dann auch noch eine neue Befestigung der Hinterradbremszange.

Alle Teile fertigte ich aus Hochfesten Aluminium.

Der neue Motor erforderte aber noch weitere Änderungen - er produziert mehr Wärme die  der Kühler im Bootsheck nicht mehr bewältigte - bei sommerlichen 28°c  hatte ich 115°c  Wassertemperatur !

Um dem Kühler mehr Luft zuzuführen wurde in die Bootswand über dem Sitz ein breiter Schlitz geschnitten und die Luft zusätzlich mit einem "Spoiler" geführt - in dem sich auch die unsichtbar integrierte neue Halterung für meinen Rolli befindet .

Der Lüfter läuft nun auf Stufe 2 von 3 (vorher 1).

Zusätzlich montierte ich vorne direkt im Fahrtwind einen 2. - kleinen Kühler.  Die Wassertemperatur steigt nun auf maximal 97°c.

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Bei weiteren Testfahrten stelle sich heraus das die Lichtmaschine den nun benötigten Strom zwar noch liefert - aber bei Verbrauchsspitzen (Licht an - Lüfter läuft und gleichzeitiges elektrisches Schalten) kurzzeitig die Bordspannung auf 9V absackt und die Instrumente ausfallen.

Die Lösung ist die Vergrößerung der Batteriekapazität auf nun zusammen 48Ah (3x 16Ah).

Zur Überwachung von Bordspannung und Wassertemperatur erweiterte ich das Cockpit um entsprechende Instrumente - da der billige LED-Kram auch China nicht lange hält ab ich analoge Instrumente verwendet.

Ein weiteres Problem - zumindest im Urlaub - ist der zu kleine Tank.

Der aus 1mm V²A Blech geschweißte Tank sitzt in der Bootspitze und fasst ca. 20 Liter die mittels Pumpe bei Bedarf in den Haupttank gefördert werden. Betankt wird Er über einen eigenen Tankdeckel am Boot.

Die ganze Kraft muss ja auch auf die Straße - womit die bisher verwendeten TOYO T1R  deutlich überfordert waren.

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Abhilfe brachte die Umrüstung auf den R1R von TOYO - ein Sportreifen für die Rennstrecke - mit Straßenzulassung.   Superweicher Gummi mit Gripp ohne Ende - selbst bei Regen !

Ich hab auch mal den 888 von Toyo hinten probiert - reinrassiger Rennreifen mit Strassenzulassung und einem unglaublichen Gripp - nur im Regen unfahrbar - und war leider nach 2500 supergeilen Kilometern am Ende  :-(

Der R1R ist für vorne nicht in 195 (bisher montiert) - sondern erst ab 205er Breite zu bekommen.

Der Reifen passt - nur das Schutzblech musste 5mm weiter nach hinten (was problemlos ging)

und 5mm nach oben - was leider das Ausschneiden des Schutzbleches erforderte incl. einer neuen Befestigung.  Damit das Auge auch was davon hat aus Kohlefaser gefertigt.

Fürs Auge sind auch die folgenden Änderungen:

konifizierter Lenker 28mm  von Rizoma mit CNC-gefrästen Klemmfäusten 

ovale Bremsflüssigkeitsbehälter von Rizoma  CNC-gefräst

Lenkerenden rot eloxiert  Rizoma

Tankdeckel MV-Corse  CNC-gefräst

Spiegel  CNC-gefräst

Gabelbrücke nachbearbeitet und Pulverbeschichtet

LED-Tagesfahrlicht - integriert im Scheinwerfer

Lackschäden beseitigt und alles neu mit Klarlack versiegelt.

Und zum Schuss gönne ich mir - oder besser meinem Gespann - noch neue Felgen - die alten hatten schon etliche "Kampfspuren".

Als Belohnung für den Aufwand geht es dann im Juni ins  MV-Heimatland  - Italien / Dolomiten.

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Nachwort

Nach ca. 45.000Km mit der Italienischen Diva kann ich sagen das das Gerede von der mangelnden Zuverlässigkeit und teure Ersatzteile und und und   ...  etwas übertrieben ist.

Ebenso der Satz:  MV - eine Leidenschaft die Leiden schafft !

Ein Japaner ist ohne Zweifel zuverlässiger - sparsamer - bequemer -überall und jederzeit Ersatzteile  verfügbar  -  ...   und leiser !

Aber die Emotionen die dieses Motorrad rüberbringt und bei anderen auslöst sind unglaublich !

Ich hab mit dem MV-Gespann mehr erlebt als mit allen anderen Motorrädern vorher.

Einmal MV - immer MV  :-)

 

 

PS

das i-Tüpfelchen ist das Autogramm von Giacomo Agostini - beim Zschorlauer Dreiecksrennen 2013  :-)))

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Dies ist ein einzigartiges Gespann und garantiert das einzige MV-Agusta F4 Gespann zur Zeit 2016 in Europa !

 

> Rizoma Lenker + Raiser + Spiegel + Bremsflüssigkeisbehälter

> Tipptronic - schalten per Knopfdruck am Lenker

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> 1. Preis beim Euro-Gespann-Treffen 2010 in Luxemburg

> Zugelassen in Deutschland !

Die Entstehung ist hier dokumentiert: http://www.r-herbig.de/gespann/mv-gespann.htm

Videos auf YouTube https://www.youtube.com/user/Roland211154

Die Story zum Gespann ist in der Zeitschrift "Motorrad-Gespanne" Heft 120

 

Ich trenn mich aus gesundheitlichen Gründen von meinem Gespann - nicht freiwillig !

Das Teil macht süchtig !

https://www.youtube.com/watch?v=le7neB6z5MA

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